Endlich wieder Licht

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Ich kann es kaum erwarten endlich nach draußen zu gehen. Heute gibt es Licht! Da könnte man tolle Sachen mit machen. Gegen Nachmittag gehe ich in die Stadt. Spontan entschließe ich in die Schauspielerkantine des Theaters zu gehen. Wenn da nicht interessante Menschen sind,  wo denn dann? Generell habe ich beschlossen, mehr Leute in interessanten Locations anzusprechen als einfach von der Straße zu rekrutieren. Nur was sind in Frage kommende interessante Locations? Der Weg in die nicht-öffentliche Kantine geht an einem Pförtner vorbei. Da muss ich also absolut kaltschnäuzig und selbstverständlich reinsteppen. Auf dem Weg versuche ich mir schon einen Namen einfallen zu lassen, von irgendeinem Schauspieler von irgendeinem Stück, den ich unter irgendwelchen Umständen dort treffen muss. Diese Gleichung hat zu viele Unbekannte. Vielleicht kommt das spontan glaubhaft rüber und er winkt mich durch. Hoffentlich finde ich den Weg durch die verzweigten Wege der Katakomben des Theaters! Als ich die erste große Tür öffne bin ich schon wieder total unangebracht nervös. Das sieht man mir aber zum Glück nicht an. Da gerade jemand vor mir reingegangen ist, hänge ich mich einfach an ihn. Die Pförtnerin interessiert sich gar nicht für mich. Treppe runter, links und ich bin schon da. Das hatte ich katakombiger in Erinnerung. Und voller! Ich nehme mir einen Kaffee und hoffe, dass es plötzlich vor verrückten Seniorschauspielern nur so wimmeln wird. Tut’s leider nicht. Ich versuche der Dame hinter dem Tresen so bekannt vorzukommen wie möglich. Klappt sogar. Doch dann patze ich bei ihrer Vermutung, dass ich doch bestimmt Schauspieler bin, einfach „Ja“ zu sagen. Ich konnte sie doch nicht einfach so anlügen. Hoffentlich kann ich hier zukünftig trotzdem noch reinschneien. Ich verschwinde samt Kaffee.

Die Schauspieler sind bestimmt alle im naheliegenden Museum! Falls nicht, tummeln sich dort doch bestimmt einige kulturinteressierte ältere Mitmenschen in Karosackos und Hornbrillen. Wenn sie sich dort nicht tummeln, arbeiten doch bestimmt zumindest ein paar. Nö. Ist geschlossen. Nebenan gibt es noch ein Altersheim. Doch hier stellt sich weniger die Frage der Seniorenfindung, sondern vielmehr der Herumlungerbegründung. Wie ist denn so ein Altersheim aufgebaut? Haben die eigene Zimmerchen oder müssen die in 20-Mann-Zimmern schlafen? Gibt es eine Kantine oder dürfen oder müssen die für sich kochen? Wen fragt man dort um Photoerlaubnis? Ich laufe über den Parkplatz und von dort wo gerade ein Auto wegfährt kommen zwei ältere Damen. Das ist nur deswegen erwähnenswert, da die Schranke die dem Auto den Weg frei gemacht hat, der einen Dame vollkommen auf den Schädel donnert. Die Erwischte und ich müssen uns einen wahren Grimassencontest abhalten: Während sie mit der Hand auf dem Kopf, wie ein verschrecktes Kind (Augen und Mund weit auf) angestrengt einen Schuldigen sucht – wie ein Chamäleon in diverse Richtungen gleichzeitig glotzend–, versuche ich mit aller Kraft ein äußerst unangebrachtes Losgepruste zu vermeiden und mein Pokerface zu wahren. Tief luft holen und sich nach ihrem Wohl erkundigen. „Na, da haben Sie aber wirklich ein sensationelles Timing hingelegt. Aber ist eher schockig als schmerzhaft oder?“ Sie leicht katatonisch, Hand wie am Kopf festgetackert: „Boah! Nee also. Nee ich weiß jetzt auch nicht.“ Völlig vedattert! „Is ja nix passiert!“ „Gut!“. Ich gehe weiter und denke, dass ich eventuell doch auch Damen portraitieren sollte.

Die Altenheimidee völlig verworfen, geht es weiter zu einer Straße mit mehr Betrieb. Das Licht scheint durch die Gassen, so dass man Leute genau in diese Lichtwege stellen könnte um tolle Bilder zu bekommen. Da kommt auch endlich einer mit Karosacko und Hornbrille auf mich zu. No shice! „Hey ich würde gerne ein Photo von Ihnen schießen. Darf ich?“. „Nö.“ „Schade!“ Das war vielleicht doch etwas plump. Ich bin trotzdem enttäuscht. Ein paar Meter weiter arbeiten zwei ältere Männer an einem Bauzaun. Die behalte ich mal im Auge, aber ich möchte heute jemanden, der etwas hervorsticht. So jemanden wie den da drüben mit den weißen Haaren und dem tollen passenden Schnurrbart vielleicht. Der läuft da etwas geschäftig rum. Vielleicht ist es der Bauleiter oder so? Der lässt sich bestimmt nicht anquatschen, aber ich fasse mir trotzdem ein Herz. „Hallo! Ich fotografiere jeden Tag einen Menschen, der mir besonders durch seinen Stil oder seinen tollen Schurrbart auffällt!“ „Wirklich jeden Tag?“ „Na klar. Zumindest die nächsten 50 Tage lang. Sie dürfen aber nur mitmachen, wenn Sie denn auch über 50 sind. Na?“ Da er anscheinend einige Jahre über 50 ist, lacht er und ist dabei. Wir gehen ein Stückchen weiter in’s Licht. Das ist leider härter als erwartet. Entweder muss er blinzeln, ist zu hell oder der Hintergrund zu dunkel. Vor lauter Mistwetterfotos fällt es mir schwer sofort die richtige Belichtung zu wählen. Ich rede einfach weiter. Wir unterhalten uns. „Ja da muss etwas sein mit diesem Gesicht! Erst kürzlich war ich mit einer Bekannten bei diesem Festival. Dann hat sie mich angestuppst und mir gezeigt, dass ich gerade ganz groß auf der Leinwand zu sehen war!“ „Glaube ich sofort. Sie sind aber auch ein dankbares Motiv!“. Er gibt mir seine Kontaktdaten und ich gehe in die Stadt.

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