Die erste Jagd war super. Meine Fotos kamen so gut an, dass ich gleich zur nächsten eingeladen wurde. John meinte „Auf diese Jagd freue ich mich das ganze Jahr! Da musst du unbedingt mitkommen!“. Selbstverständlich bin ich dabei. Nach einem holprigen Start am Morgen geht es um 08:00 Uhr mit dem Auto in die Nähe von Trier. Die Jagd ist nicht wie sonst üblich verpachtet, sondern gehört komplett einem Großunternehmer aus der Gegend. Er lädt zur Jagd, gibt die verschiedenen Wildarten frei und geht auch selbst mit durchs Dickicht als Treiber. Er ist ein sehr charismatischer und bodenständiger Typ und gerade deshalb sehr hoch geschätzt. Von jeder Seite höre ich wie angenehm dieser Mann ist. Und tatsächlich ist die gesamte Familie sehr zuvorkommend, freundlich und umgänglich.
1 Die Jagd beginnt
Das Wetter ist heute leider ziemlich beschissen. Es ist kalt, trüb und sieht so aus, als würde es jeden Moment zu schütten beginnen und als würde es einfach nicht mehr aufhören. Es tut gut wieder draußen zu sein. Mir wird schnell bewusst, dass ich nicht optimal angezogen bin und ein Wasserschutz für die Kamera erforderlich ist. John hat zum Glück noch eine wasserdichte Jacke! Die Hundegruppe nimmt mich mit. Wir fahren ein Stückchen und machen uns auf in den Wald. Unterwegs treffen wir die postierten Schützen, die darauf warten, dass ihnen freigegebenes Wild vor die Flinte läuft.
Tiere bekommen wir selbst keine zu Gesicht. Mir wird bewusst, wie viel Glück ich bei der ersten Jagd hatte: Wetter und Licht waren perfekt. Ich hatte selbst eine Sau erwischt – mit der Kamera (icht, dass jemand auf die Idee kommt, dass ich selbst mit jagen würde).
2 Mittagspause
Gut durchfroren fahren wir zurück zur „Jagdhütte“. Wobei Hütte gänzlich untertrieben ist. Vielmehr ist es ein anständiges Häuschen mit anliegender Halle inklusive Stall und Kühlraum. Sehr beeindruckend. Wir unterhalten uns, essen Braten und Kuchen. Ich werde wieder sehr gut aufgenommen und mit den Basics der Jagd bekannt gemacht. Ich finde es großartig durch das Medium Fotografie in mir völlig unbekannte Subkulturen einzutauchen und direkt von den Passionierten ihre Disziplin zu lernen.
3 Die zweite Hälfte der Jagd
Gestärkt geht es zurück „an die Arbeit“. Schnell noch ein Gruppenfoto und zurück in den Wald. Die Route ist besprochen, wir teilen uns auf, durchqueren den Tannenwald. Es ist kalt und feucht. Die Luft ist eisig, frisch und klar. Die Kamera habe ich in eine Plastiktüte gesteckt. Sobald es richtig schüttet, muss ich sie dennoch im Rucksack verstauen. Wenn es sich ergibt, werde ich sie rausholen und versuchen die Stimmung festzuhalten. Zeitlich versetzt.
Als sich bei einer größeren Lichtung der Wald ein wenig auflockert, halte ich inne, um mich umzuschauen. Freies Feld umringt von Bäumen und Dickicht. Ich verliere die Gruppe und stehe auf einmal alleine da. Ein komisches Gefühl macht sich in mir breit. Ich blicke den Hang herunter und schaue mich um. Es ist ganz still. Nur das Plätschern des Regens und der Wind in den Bäumen sind zu hören. Mir wird bewusst, dass die Stöbergruppe wohl circa 200m vor mir sein muss und dass sie im dümmsten Fall das Wild genau in meine Richtung treiben könnte. Wie würde wohl eine Zusammenkunft mit einer Sau aussehen, die gerade in Todesangst in meine Richtung rast? Ich verliere mich weiter in Gedanken, als ich den ersten Schuss in der Ferne höre. Etwa 30 Meter vor mir, zu meiner Rechten, rennt auch schon eine Sau an mir vorbei. Spannend. Ein paar Meter weiter mache ich einen Baumstumpf aus, auf den ich springen könnte, wenn die nächste kommen sollte. Wie eine Tussie, die auf einen Stuhl springt, wenn sie eine Maus im Wohnzimmer entdeckt. Das muss unter uns bleiben! Während ich den schnellsten Weg zum Baumstumpf kalkuliere, knarzt es plötzlich im Unterholz. Wie in Trance schaue ich rüber und sehe, dass zwei Hirschkühe gerade aus dem Unterholz kommen. Die Viecher sind ja verdammt groß! Sie interessieren sich glücklicherweise nicht für mich und springen in einer bewundernswerten Eleganz über die Lichtung. Die Zeit scheint sich zu verlangsamen. Ich schaue verwundert hinter ihnen her und sie sind genau so schnell weg, wie sie gekommen sind. Ein kurzer intensiver Moment. Ich beschließe, dass es klüger ist, sich wieder der Meute anzuschließen.
Ich schlage mich durch das Dickicht und den Tannenwald. Wasserdichte Kleidung hätte sich gelohnt: Die Pflanzen streifen das Wasser förmlich an mir ab. Als ich wieder auf die Jäger treffe bin ich völlig durchnässt. Mittlerweile ist es arschkalt. Ich kann es kaum erwarten endlich wieder ins Trockene zu kommen!
4 Der Abschluss und das Schüssel- oder Kesseltreiben
Bin ich froh, als ich endlich im Auto sitze! Ich schlottere vor Kälte. Leider habe ich überhaupt nicht daran gedacht eine zweite Montur mitzubringen. An der Jagdhütte angekommen, stehe ich wie ein nasser Pudel zwischen den Jägern. Das bleibt nicht unbemerkt und ich werde direkt vom Besitzer der Jagd im anliegenden Haus komplett neu ausgestattet: „Och entschuldigen Sie, ich habe ja gar nicht gemerkt, dass Sie völlig durchnässt sind. Kommen Sie mal mit, wir finden da bestimmt was für Sie!“. Selten hat es sich so gut angefühlt trockene Klamotten anzuziehen! Dieser Herr ist so herzlich und unkompliziert, dass ich jetzt auch vollkommen nachvollziehen kann, warum er bei allen so beliebt ist.
Es geht wieder zum offiziellen Teil: Die Jagdhorn wird geblasen, die Strecke präsentiert und jeder erfolgreiche Schütze mit Tannenzweigen ausgezeichnet. Den restlichen Abend verbringen wir in einer gemütlichen Wirtschaft. Zu den Bräuchen gehören Ansprachen und Jagdlieder. Ein toller Tag!
Fotos der Hunde