Der Tag beginnt wie der vorletzte aufgehört hat. Wetter und Licht sind einfach mies. Dazu habe ich noch Kopfschmerzen *mimimi*. Diese sind leider unbegründet und nicht auf Grund einer möglichen Halloweenherumtreibung. Gegen Mittag versuche ich mich dennoch zu motivieren und mache mich zu Fuß los. Außerhalb des Stadtzentrums zu wohnen hat zum Vorteil, dass die Menschen hier nicht so gehetzt sind. Zum Nachteil, dass es schlicht und ergreifend weniger sind. Und heute sind die Straßen wie leergespült.
Ein karghaariger Jogger kommt mir entgegen. Er erscheint mir aber zu jung. „Gunn Tach!“ und ich gehe einfach weiter – nicht schon wieder jemanden vor den jünger-als-geschätzten Kopf stoßen. Sogar kaum Autos sind unterwegs. Dann entdecke ich ein älteres Ehepaar auf ihr Auto zugehen. Ich begrüße sie nett und lege direkt los. „Gunn Tach! Ich würde gerne ein Photo von ihnen schießen!“ Sie: „Nä, nä“. Er, lacht: „Was von uns?“. Sie: „Nä das möchten wir nischd. Wir sind viel zu alt“. „Nee genau richtig,“ versuche ich die Sache zu retten „Das passt super (Infos über das Vorhaben)“. Er wieder: „Wir möchten nirgendwo hin. Und in’s Internet möchten wir schomma gar nicht“. Steigt ins Auto -.- Sie: „Jaja. Das ist die ältere Generation. Die ist so misstrauisch“. „Alles klar danke und schönen Tag.“ Schade! Der Mann hatte ein gutes Lachen. Darüber hinaus will ich so schnell es geht wieder in’s Warme. Oft sind es tatsächlich die Damen, die keine Lust haben und die Herren die dann leider mit ziehen. Da muss ich mir noch etwas einfallen lassen.
Eine 3/4 Stunde geht ins Land und man selbst den Straßen auf und ab. Mal bei der Wurstbude vorbeischauen. Da fällt mir beim Ankommen auf, dass die neuerdings eine Dönerbude ist. Auch gut. Leider sehen die Leute da heute total griesgrämig und hungrig aus. Die warten wohl schon länger auf ihre Mahlzeit. Hätte der Dönermann freundlicher ausgesehen, hätte ich einfach ihn gefragt. Da die Straßen so leer sind und das Licht bescheiden, muss ich wohl reingehen. Hier gibt es eine kleine Kneipe. Ich gehe rein und bestelle erst einmal einen Tee „Zum Aufwärmen!“. „Mit Rum?“. „Haha nee danke. Muss noch fahren.“ (Muss ich gar nicht, aber irgendwie kam ich mir suspekt vor ohne Ausrede keinen Alkohol zu trinken – doof ne?). „Dann also Tee mit Tee Rum herum!“
Ich habe nichts geplant, denke mir aber, ich lass es hier langsam angehen; schaue mir die Leute an, werde ein Gespräch beginnen, mich austauschen und dann bei der richtigen Gelegenheit nach dem Photo fragen – nur leider gibt es meistens gar keine richtige Gelegenheit. Während ich also wieder viel zu viel nachdenke kommt mein Tee mit Zitrone. Ich will es ja nicht überstürzen. Wäre echt schade, denn neben mir an der Bar steht ein herrlicher älterer Mann. Hin und wieder büxt er aus um sich mit dem Spielautomat zu beschäftigen. Flurmelnd (also halb fluchend und halb murmelnd) kommt er zurück zu seinem Bierchen und zählt seine verbleibenden Münzen. Ja der ist doch perfekt. Wie stelle ich es an. All in oder eher langsam? Ich will ihn nicht abschrecken, aber ich muss was tun. Ich schaue mich um. Die Bar ist klein und es sind wenig Leute hier. Die finden das bestimmt komisch, wenn ich einfach ihren Kollegen hier photographiere (…). Ich greife die Zitronenscheibe und presse den Saft in den Tee. Leider nur einen Teil. Der andere landet – wo auch sonst – direkt in meinem rechten Auge. „Argh verdammt!“ „Was hatter dann?“ „Zitrone. Ins. Auge. Aua!“ „HAHAHAHHA Zitron im Au – brennt wie Sau!“ Auf den Klassiker habe ich nur gewartet! „Haha tut es. Tut es tatsächlich!“ Tut es! Verdammt brennt das! Die Kellnerin schickt mich auf die Toilette zum Ausspülen. Dort begegnet mir wieder der ältere Herr mit dem Faible für Gastronomieglücksspiel. Der rät mir das ganze mit Wasser auszuspülen 😉 Gut.
Oben wieder angekommen ist alles beim Alten. „Danke für den Tipp. Ich hab mein Auge jetzt mit Wasser ausgespült. Geht schon besser.“ „Jojo gudd!“. Er ist wieder am spielen. Ich lasse mir die Regeln erklären. Das ist wohl ein modernener Keinarmigerbandit mit Touchscreen. Da gibt es 4 Reihen und 5 Spalten und etliche Symbole. Diamanten hat der Herr am liebsten. Für horizontale Reihen gibt’s Points. Und für Reihen, die willkürlich über sämtliche Spalten und Symbole laufen. Das macht das Spiel wohl spannend oder abwechslungsreicher. „Do! Ich bin e Zocker! Ich bin e Arsch!“ beginnt der Herr. „Ja zocken, tun Sie wohl ganz gerne, was?“. „Jo, awwer, nimmeh so vill!“. Gut. „Muss ma heut noch was koche!“ Früher hat er mit den Gangstern – und damit sind wohl keine Baggypants-tragenden Kids gemeint – Poker gespielt. Er „hatte nen ‚Flash Royal‘ mit Herz und dann der anner mit Schibbe! Der hat mit zwei Karten gespielt!“. Er wurde anscheinend von den Ganoven beschissen. „900 Mark!“. „Dasn Haufen Geld!“. Er erzählt weiter. Wenn eine Katze sieben Leben habe, habe er zehn. Er beweist das durch einige Stories. Zum Beispiel ist er einmal nach einem Fahrradsturz über 7 Meter weit an einem Kirschbaum vorbeigeflogen, aufgestanden und hat „nix gehatt!“. Wie ne Katze! Oder er hat seinen Arm in einer fahrenden Eismaschine eingeklemmt und ist 5 km weit nach Hühnerfeld die Straße lang gezogen worden. Ich liebe solche Stories, auch wenn ich zugeben muss, dass mir der Ablauf nicht ganz klar geworden ist.
Wir haben eine Connection, also frage ich ihn, ob ich ein Photo machen darf. „Na klar“. Da wir eh gerade am Tresen stehen, erscheint es mir hier gerade gut. Das Licht ist auch okay. Wegen der 50mm ist der Bildausschnitt ziemlich eng. Daran muss ich mich immer noch gewöhnen. Die letzte Zeit war das 24-70 mein ständiger Begleiter. Da ich sehr gerne recht weitwinkelig arbeite, fehlt mir das in Situationen wie diesen ein wenig. Wir schießen ein paar Photos und ich möchte den Mann nicht so lange vor der Kamera strapazieren. Darüber hinaus fühlt es sich immer noch etwas komisch an, in dieser kleinen Kneipe. Da ist das ja fast schon ein kleines Happening. Damit meine ich nicht, dass es besonders spektakulär wäre, sondern einfach anders. Wir unterhalten uns noch weiter. Dann kläre ich die Barkeeperin auf. Sie ist zwar etwas skeptisch, schlägt mir aber schon den Nächsten vor, nachdem sie die Bilder gesehen hat.
Ich stelle mich ihm kurz vor und sage, dass ich am nächsten Tag noch einmal vorbeikomme, denn ich mache jeden Tag nur ein Photo. Dann verabschiede ich mich und gehe. Der Regen macht mir gar nix mehr aus.